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Schöne neue Fintech-Welt?

Es ist denkbar, dass innovative Fintech Start-Ups von heute die Bankenwelt von morgen verändern. Oder aber es ist genauso möglich, dass etablierte Banken diese jungen Start-Ups nach und nach aufkaufen, und zum Verschwinden bringen werden. Was könnte solch ein möglicher Strukturwandel aus ethischer Sicht für die Fintech-Welt und die Schweiz bedeuten?

 

Fintech im Hoch

Fintech Start-Ups sind im Hoch. 2017 erhielten Start-Ups im Bereich Finanztechnologie über CHF 400 Millionen in Form von traditionellem Risikokapital und Kryptowährungen (Studie der Hochschule Luzern). Viele junge Firmen konzentrieren sich auf neue Geschäftsfelder, zum Beispiel im Bereich der Blockchain-Technologie. Einige Start-Ups machen Banken in ihren traditionellen Tätigkeiten Konkurrenz. Andere Start-Ups wiederum versuchen die Anlageberatung mittels selbstlernender Algorithmen effizienter zu machen und dadurch auch für Kleinstbeträge attraktiv zu gestalten. Wieder andere konzentrieren sich darauf, die Nachhaltigkeit von börsenkotierten Firmen zu messen und so das Anlagegeschäft transparenter zu machen.

Eine (R)Evolution der traditionellen Bankenwelt durch Start-Ups scheint auf den ersten Blick sehr vielversprechend.

Banken haben in der heutigen Wirtschaftswelt eine grosse Marktmacht. Die Finanzwirtschaft gibt der Realwirtschaft den Takt vor. Sie ist ein eigenständiges und wichtiges Geschäftsfeld, ohne das im modernen Alltag nichts laufen würde. Wer ein Café eröffnen will, braucht Kredite. Wer Geld von einer Person zur anderen verschieben will, ohne dies in baren Scheinen zu tun, braucht einen Finanzdienstleister. Und wer seinen Lohn ausbezahlt bekommen möchte, benötigt üblicherweise ein Bankkonto. Solche Dienstleistungen werden seit der industriellen Revolution und bis vor kurzem noch durch wenige Banken kontrolliert.

Dies führt zu einer herausragenden Stellung der Banken im modernen Wirtschaftsgefüge. Banken sind zwar stark staatlich reguliert, haben aber auch bestimmte Privilegien. Zum Beispiel dürfen Banken vielfach Geld quasi aus dem «Nichts» schaffen, weitgehend ohne dies durch reale Werte decken zu müssen. Einige Grossbanken haben implizit eine Staatsgarantie. Regierungen versuchen alles, um systemrelevante Banken vor einem drohenden Konkurs zu bewahren (beispielsweise in der Schweiz). Wie in jedem zu Oligopolen neigenden Umfeld kann Konkurrenz durch neuartige Start-Ups eine Chance sein.

 

Generelle Skepsis

Allerdings ist Skepsis angebracht, inwiefern Fintech-Firmen ihr implizites Revolutions-Versprechen einlösen können.

Wenn man den Autoren von «The End of Banking» (2014) glauben schenkt, dann werden sich Fintechs im heutigen Umfeld nicht langfristig neben den etablierten Banken bewähren können. Viel eher werden sie in absehbarer Zukunft von diesen geschluckt, zu gross sind die staatlichen Privilegien der Banken. Was Fintechs bräuchten, sind gleich lange Spiesse. Das heisst, dass Privilegien, aber auch komplexe Regulationen für Finanzdienstleister abgeschafft würden. Nur so könnten kleinere Fintech-Firmen langfristig den Markt verändern und zu weniger Machtkonzentration führen.

Problematisch ist heute, dass Banken den Regulatoren stets einen Schritt voraus zu sein scheinen. Die Finanzwelt ist kompliziert und durch immer mehr technologische Möglichkeiten lassen sich kontinuierlich komplexere Strukturen im Geldgeschäft schaffen. Staatliche Regulierung hinkt immer einen Schritt hinterher. Die Privilegien für Banken aber bleiben. Das führt dazu, dass Banken gegebenenfalls zu einem systemischen Risiko für die Realwirtschaft werden können, wie dies in der Finanzkrise von 2008 geschehen ist.

 

Alles besser mit Fintechs?

Angenommen, der Gesetzgeber will solche systemischen Risiken vermindern und fördert Innovationen und kleinere Fintechs. Das bedeutet, es würden wohl gewisse Bankprivilegien abgeschafft. Was das heissen könnte, haben die Autoren – ein Banker und ein NZZ-Wirtschaftsjournalist – von «The End of Banking» ausbuchstabiert. Zum Beispiel könnte bestimmt werden, dass Banken nicht länger Geld aus dem «Nichts» schöpfen dürfen, sondern ein Realvermögen als Absicherung vorweisen müssen. Es könnte also nur so viel Geld geschaffen und vergeben werden, wie die Banken durch Sachwerte zu decken vermögen (eine Art neuer Goldstandard). Ein solcher Schritt würde einerseits das von Banken ausgehende Systemrisiko deutlich vermindern. Andererseits hätten Fintech Start-Ups in solch einem Umfeld eine grössere Chance zu bestehen und zu einem ausgewogeneren Markt zu führen.

Falls dieser Übergang gelingen würde und viele kleinere Fintechs die Finanzwelt eroberten, was würde dies ändern?

Weniger Macht- und Risikokonzentration im Finanzmarkt ist aus demokratiepolitischer Sicht sicher wünschenswert. Banken wären ein Wirtschaftszweig wie jeder andere und würden keine Staatsgarantien mehr brauchen. Ein durch kleinere Fintech-Firmen dominierter Finanzmarkt wäre aber kein Allheilmittel gegen Spekulation und Finanzblasen. Diese wären zwar kein Systemrisiko mehr, blieben aber trotzdem an der Tagesordnung.

 

Jobverluste

Aus ethischer Sicht ist aber ein weiterer Parameter bedeutsam, wenn Grossbanken durch eine Fintech-dominierte Finanzwirtschaft ersetzt würden. Banken sind nämlich grosse Arbeitgebende. In der Schweiz waren im letzten Jahr rund 100'000 Personen bei Banken angestellt. Fintech Start-Ups hingegen rentieren nur, wenn sie menschliche Arbeit teilweise durch selbstlernende Algorithmen und andere Innovationen ersetzen können. Zum Beispiel lohnt sich Anlageberatung für Kleinkunden für ein Start-Up nur, wenn das Monitoring der Aktienkurse durch Computer und weitgehend ohne menschliche Arbeitskraft geschehen kann.

Banken bieten aber nicht nur viele, sondern meist auch sehr gut bezahlte Arbeitsstellen. Wenn eine neue Finanzwirtschaft durch Fintechs dominiert wird, ist also nicht nur die Quantität des Stellenabbaus entscheidend, sondern auch die Qualität. Für den Staat heisst ein Verlust von gut bezahlten Stellen vor allem weniger Steuereinnahmen. Für die Menschen allerdings bedeutet es, dass viele sich weiterbilden und umorientieren müssen. Denn ähnlich gut bezahlte Stellen wie im Bankensektor gibt es zwar auch in anderen Branchen, aber es werden andere Fähigkeiten als im Banking gefragt sein (zum Beispiel die sprichwörtliche IT-Fachkraft). Und wer für solche vorausschauenden Weiterbildungen schlussendlich die Verantwortung tragen muss – die Banken, der Staat oder die betroffenen Einzelpersonen – ist politisch erst noch auszuhandeln.